Die Gründe für Chinas Ein-Kind-Politik

Die Ein-Kind-Politik war eine der radikalsten und kontroversesten Maßnahmen in der Geschichte der Menschheit. Sie hatte zum Ziel, die Bevölkerungszahl zu kontrollieren und zu reduzieren. Doch warum wurde die Ein-Kind-Politik eingeführt?

Chinas Bevölkerungswachstum

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es in China zu einem Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Nationalisten, welcher von den Kommunisten im Jahre 1949 gewonnen wurde. In der Folge wuchs die chinesische Bevölkerung stark an. Im Jahr 1950 betrug die Gesamtbevölkerung Chinas etwa 563 Millionen Menschen. Bis zum Jahr 1970 stieg die Bevölkerung auf etwa 830 Millionen Menschen an, was einem Anstieg um fast 50 Prozent innerhalb von nur 20 Jahren entspricht. Das rasche Bevölkerungswachstum setzte sich fort und stellt den Hauptgrund für die 1-Kind-Politik dar.

Dieser starke Anstieg der Bevölkerung war auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Aufgrund von weitreichenden Gesundheitsreformen ging die Sterblichkeitsrate erheblich zurück. So wurden u.a. Krankenhäuser gebaut und Impf- und Massenkampagnen zur gesundheitlichen Aufklärung durchgeführt.

Zudem stieg die Geburtenrate aufgrund von Verbesserungen in der Landwirtschaft und der Lebensbedingungen. Außerdem genießt im chinesischen Wertebild die Großfamilie höchstes Ansehen, was sich ebenso positiv auf die Geburtenrate auswirkte. Die Regierung unter Mao Zedong versuchte frühzeitig, die Bevölkerung zu kontrollieren, indem sie Familien ermutigte, nur eine begrenzte Anzahl von Kindern zu bekommen. Dies wurde jedoch nicht konsequent umgesetzt, weshalb die Bevölkerungszahl weiter anstieg.

Die Schattenseiten des Wachstums

Jedoch brachte das rasche Wachstum auch zahlreiche Probleme mit sich. So führte der starke Anstieg der Bevölkerung zu einem gestiegenen Bedarf an Nahrungsmitteln. Eine wichtige Rolle spielte hierbei vermutlich der von Mao Zedong initiierte „Große Sprung nach vorn“ (1958 bis 1962). Ziel der Kampagne war es, die chinesische Wirtschaft schnell zu modernisieren und China zu einer führenden Industrienation zu machen. Dazu wurden die Bauern gezwungen, auf kollektiven Farmen zu arbeiten und ihre landwirtschaftlichen Praktiken zu ändern, um höhere Erträge zu erzielen. Diese Maßnahmen führten jedoch zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion und einer Verschlechterung der Nahrungsversorgung in vielen Teilen Chinas. Hinzu kam, dass die Ernten in den späten 1950er Jahren infolge von Dürren und Überschwemmungen weiter reduziert wurden. So kam es beispielsweise im Jahre 1958 im Gelben Fluss eine Überschwemmung, welche rund eine halbe Million Acre Ernte überschwemmte und über 300.000 Häuser zerstörte. In weiterer Grund war, dass neben Ratten, Fliegen und Stechmücken auch Spatzen in großer Zahl gejagt wurden, was wiederum die Anzahl an Schädlingen zunehmen und die Ernteerträge einbrechen lies. Zwischen 1959 und 1961 starben so in der „Großen Chinesischen Hungersnot“ schätzungsweise zwischen 15 und 55 Millionen Menschen.

Jahrkcal
19572167
19582169
19591820
19601535
19611651
19621761
19631863
19642020
Kalorienmenge, die den Chinesen durchschnittlich täglich zur Verfügung stand, von 1957 bis 1964 (Quelle: Hackfurth 2006, S. 6)

Außerdem führte die wachsende Bevölkerung auch zu einem erhöhten Bedarf an Wohnraum, was v.a. in den Städten zu einer Wohnungsnot führte. Auch hier wirkte sich die Politik der „Großen Sprünge“ negativ aus. So wurden viele Menschen aus ländlichen Gebieten in die Städte umgesiedelt, um in der Industrie zu arbeiten. Dies führte wiederum zu einem schnellen Bevölkerungswachstum in den Städten und einem enormen Bedarf an Wohnraum. Die Regierung hatte jedoch nicht genügend Ressourcen und Mittel, um ausreichend Wohnraum für die wachsende Bevölkerung zu schaffen. Als Folge davon lebten viele Menschen in beengten und unhygienischen Wohnverhältnissen, oft in sogenannten „Hutongs“ (traditionelle chinesische Wohnviertel mit engen Gassen und Gemeinschaftstoiletten).

Hutong ein Peking – Hutongs bezeichnen enge traditionelle Gassen in Nordchina sowie die bis in die 1990er Jahre hinein dominierende Form von Wohngebieten in Peking (Foto von Sam Balye auf Unsplash)

Verstärkt wurde der Wohnungsmangel in den Städten durch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. So betrug die durchschnittliche Wohnfläche pro Person in Peking im Jahr 1953 nur rund vier Quadratmeter (Y Huang 2004, S. 54)

Auch zu einem Mangel an Ressourcen kam es, da das Bevölkerungswachstum zu einem gestiegenen Bedarf an Energie und Rohstoffen führte. Die nachfolgende Grafik zeigt, wie stark der Bedarf an Kohle, die insbesondere zum Heizen und der Verstromung genutzt wird, seit den 1970er Jahren angestiegen ist. Allerdings konnte die Kohleproduktion nicht mit der steigenden Nachfrage Schritt halten, was zu häufigen Stromausfällen führt (bzw. immer noch führt). Die chinesische Regierung sah daher das Wirtschaftswachstum infolge des rasch steigenden Energiebedarfs einer schnell wachsenden Bevölkerung in Gefahr. Seit längerer Zeit setzt China auch verstärkt auf den Einsatz von erneuerbaren Energien. 2008 wurde das größte Wasserkraftwerk der Welt in Betrieb genommen, welches jedoch auch sehr kontrovers gesehen wird.

Zudem nahm in vielen Teilen Chinas die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden immer weiter zu. Aufgrund der wachsenden Bevölkerung und der zunehmenden Industrialisierung gab es in vielen Gebieten Chinas einen Mangel an sauberem Wasser. Laut Schätzungen sind 60 Prozent des Grundwassers in China verschmutzt (Spiegel Online 2016). Hinzu kommt die ungleiche Verteilung des Wassers. So stellen nur sechs Prozent der chinesischen Landmasse mehr als zwei Drittel der Wasserversorgung sicher.

Die Ein-Kind-Politik hatte auch wirtschaftliche Gründe. Die chinesische Regierung wollte die wirtschaftliche Entwicklung des Landes fördern, indem sie sicherstellte, dass die Bevölkerungszunahme nicht zu schnell ablief. Durch eine Begrenzung der Geburtenrate sollte sichergestellt werden, dass es genug Arbeitsplätze und Ressourcen für alle gab. Eine hohe Arbeitslosigkeit hätte ggfs. auch soziale Unruhen auslösen können. Die Regierung war der Auffassung, dass eine langsame und kontrollierte Bevölkerungszunahme zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung führen würde.

Fazit

Wie man sieht, führte das Bevölkerungswachstum Chinas zu enormen Engpässen bezüglich Ernährung, Wohnraum und Ressourcen und trug, zusammen mit der raschen Industrialisierung, zu enormen Umweltproblemen in China bei.

Um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes auf lange Sicht nicht zu gefährden, rief die Kommunistische Partei Kampagnen zur Geburtenkontrolle ins Leben, welche bereits ab Mitte der 1970er Jahre zu einem Rückgang der Geburten führte. Da die chinesische Führung unter Deng Xiaoping jedoch in der weiteren Bevölkerungszunahme aus den oben genannten Gründen ein Risiko für das wirtschaftliche Wachstum sah, durften ab 1980 Paare in China nur noch ein Kind bekommen.

Quellen

Bundeszentrale für politische Bildung (2020): Vor 5 Jahren – Ende der Ein-Kind-Politik in China.

dahe.cn: Zeitungsausgabe aus dem Jahre 1958 年黄河大水灾纪实.

Hackfurth, Ole-Mathies (2006): VR China: Wirtschaftspolitik von Mao bis Jiang. Hannover.

Huang, Youqin (2004): Housing Markets, Government Behaviors, and Housing Choice: A Case Study of Three Cities in China. University of Albany, New York.

Spiegel Online (2016): So versucht sind Chinas Flüsse und Seen.

Wemheuer, Felix (2020): Mao und der „Seuchengott“. Eine kurze Geschichte der chinesischen Gesundheitspolitik.