Die US-amerikanische Stadt – Modelle, Merkmale, Entwicklung

Was prägt die US-amerikanische/nordamerikanische Stadt?

Die US-amerikanische Stadt gilt als Prototyp moderner und postmoderner städtischer Entwicklungen. Die Städte sind noch relativ jung: an der Atlantikküste fand die Stadtentwicklung ab dem 17. Jh. statt, an der Westküste erst nach 1820. In den US-amerikanischen Städten spiegelt sich der Glaube an Kapitalismus und die Freiheit des Einzelnen und Chancengleichheit wider. In der Forschung in Deutschland hat sich insbesondere Barbara Hahn sehr stark der nordamerikanischen Stadt gewidmet. 2014 erschien ihr Lehrbuch, „Die US-amerikanische Stadt im Wandel“, worauf sich die Ausführungen auf dieser Seite beziehen.

Die US-amerikanische Stadt – Modelle

Klassische Modelle – Die Chicago School

Die Soziologen Park, Burgess, Hoyt, Harris und Ullman haben zwischen 1925 und 1945 drei bekannte Stadtstrukturmodelle entwickelt:

  • Ringmodell der Stadtentwicklung nach E.W. Burgess 1925/1929
  • Sektorenmodell nach H. Hoyt 1939
  • Mehrkernmodell nach C.D. Harris und E.L. Ullman 1945

Mehr Informationen zu den Stadtstrukturmodellen der Chicago School.

Struktur der US-amerikanischen Stadt nach Hahn

Kernstadt

  • ökonomisches Zentrum: Downtown
  • Wolkenkratzer, Trennung von Produktion, Verwaltung, Handel
  • Verdrängung der Wohnbevölkerung und des Einzelhandels an den Stadtrand
  • Verödung der Innenstädte
  • funktionale Aufteilung: CBD, Hotelviertel, Kongresszentrum, Behördenviertel, Luxuswohnanlagen
  • Dekonzentrationstendenzen von Einzelhandel und Industrie

Außenstadt

Postmoderne Stadtentwicklung – Keno Capitalism

Die Los Angeles School of Urbanism grenzt sich stark ab von der Chicago School. Anhand von Los Angeles haben insbesondere Dear und Flusty Forschung zur postmodernen Stadt betrieben.

Für mehr Informationen über die Postmoderne Stadtentwicklung und Keno Kapitalismus.

Phasen der Stadtentwicklung der US-amerikanischen Stadt

Vorindustrielle Städte

Die vorindustriellen Städte in Nordamerika wurden erbaut nach europäischem Vorbild. Im 17. Jahrhundert entstanden erste Städte mit Schachbrettgrundriss. Es war schnell umsetzbar und erleichterte den Erwerb und Verkauf von Grundstücken an nicht anwesende Investoren. Der Glaube an den Kapitalismus und die Freiheit des Einzelnen spiegelt sich in der Stadt wider. So prägten (und prägen) Geschäftsleute und Grundstücksbesitzer die öffentlichen Angelegenheiten der Stadt.

Map of Phila-William-Penn.jpg
Auf der alten Karte von Philadelphia von 1683 erkennt man schon sehr gut den Schachbrettgrundriss der Stadt
Bildquelle: Thomas Holme [CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]

Industriestädte

Nach dem Ende des Bürgerkrieges (1861-1865) begann die Industrialisierung in den USA. Der Kernraum war hierbei der Nordosten (manufacturing belt). Fortan wurden Hochhäuser gebaut, da es die höchste Renditen im Zentrum der Städte und der Platz der knapp war. Auch hier erkennt man also die wirtschaftliche Prägung der Stadtentwicklung.

Flatiron Building Construction, New York Times - Library of Congress, 1901-1902 crop.JPG
Bau und Fertigstellung des Flatiron-Buildings in New York um 1902
By Credited to the Library of Congress – From The Times online store, located here., Public Domain, Link

Postfordistische Städte

In den 1950er Jahren setzte die Deindustrialisierung ein. Dadurch veränderteren sich die Produktionsprozesse.

Es kam zu Standortverlagerungen: Innerhalb der städtischen Räume kam es zu einer Dezentralisierung. Diese wirkte sich wiederum negativ auf die Innenstädte aus. Industrie, Einkaufszentren  und Bürogebäude entstanden nun im suburbanen Raum

Die 1950er und 60er-Jahre waren auch geprägt von Rasseunruhen und dem Civil Rights Act 1964. Die (Innen-)Städte wurden zu rechtsfreien und gefährlichen Räumen. Der Tiefpunkt der US-Stadt war erreicht und war global sichtbar. Hervorgerufen wurde er durch verfehlte Politik, Bestechlichkeit und hohe Mordraten. Dadurch verloren die Kernstädte auch Arbeitsplätze. Die Mittel- und Oberschicht verlagerte sich in suburbanen Raum.

In der Folge nahm der Anteil der Armen und Minderheiten zu. Ein Teufelskreis entstand, da gleichzeitig kaum mehr in Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen wie Schulen investiert wurde.

Marchers with signs at the March on Washington, 1963.jpg
Proteste in den 1960er Jahren
Von Trikosko, Marion S., photographerDieses Bild ist unter der digitalen ID ppmsca.37229 in der Abteilung für Drucke und Fotografien der US-amerikanischen Library of Congress abrufbar.

Postmoderne Städte

Der Manufacturing Belt (Pittsburgh, Detroit etc.) befand (und befindet sich immer noch) sich in einer Abwärtsspirale. Entweder musste ein Umstieg auf wissensintensive Dienstleistungen erfolgen oder ein Niedergang ist unvermeidlich.

In den Städten im Süden und Westen dahingegen kommt es ab der zweiten Hälfte des  20. Jh. zu einem enormen Anstieg der Bevölkerung. Gründe hierfür sind z.B. die Ansiedlung neuer Industrien und Investitionen in Militär und Raumfahrt. Während die Industriestadt (z.B. Detroit) noch an verkehrsgünstige Lagen und gute naturräumliche Bedingungen gebunden war, können in der postmodernen Ära Orte mit ungünstigen Voraussetzungen zu Großstädten werden (Las Vegas, Phoenix, Houston).

Gentrification, Privatisierung und Globalisierung prägen die Stadt heute. Die postmoderne Stadt wird also wie ein Wirtschaftsunternehmen geführt. Sie möchte eine globale Elite, globales Kapital und Touristen anziehen. Der Konsum ist mittlerweile wichtiger geworden als die Produktion.

Las Vegas als Beispiel einer postmodernen Stadt: die Stadt ist stark durch den privaten Sektor (Casinos und Hotels) geprägt und trotz der schlechten Voraussetzungen (mitten in der Wüste) sehr erfolgreich.

Trends der jüngeren Vergangenheit und Zukunft

Hier eine Auswahl der Trends, welche die US-amerikanische Stadt in der jüngeren Vergangenheit, derzeit und in Zukunft prägen werden. Weitere Trends sowie detaillierte Beschreibungen der hier nur kurz aufgeführten Phänomene finden sich im Lehrbuch von Barbara Hahn.

  • Edge Cities
  • Urban Sprawl und Anti-Sprawl: die Anti-Sprawl-Bewegung setzt sich für einen kompakten Siedlungsbau und den Erhalt der Natur ein. Die Anfänger von Pro-Sprawl möchten die Eigentumsrechte aller Individuen durchsetzen
  • New Urbanism
  • wachsende Städte: besonders im Westen und Süden durch Schaffung vieler Arbeitsplätze und großem Angebot an billigem Bauland und wenigen Auflagen. Zudem: Sonne und Strände
  • schrumpfende Städte: hauptsächlich im Nordosten der USA  – v.a. wegen Konzentration  auf ein Unternehmen oder eine Industrie (Autos in Detroit, Stahl in Pittsburgh, Kodak in Rochester)
  • Globalisierung: Global Cities
  • Komplette Auslegung der Stadt auf das Automobil: Das führt dazu, dass z.B. in Los Angeles jeder Autofahrer, der in der Rush-Hour unterwegs ist, im Schnitt 102 Stunden pro Jahr im Stau steht. In London, der „Stauhauptstadt Europas“ stehen Pendler „nur“ 74 Stunden pro Jahr im Stau (Quelle: CNN). Das Videos zeigt eindrucksvoll, das Stauproblem in Los Angeles vor Thanksgiving 2016. Es gibt aber in manchen Städten einen Paradigmenwechsel: lebenswerte statt autogerechte Stadt – dazu zählt die Verlegung von Autobahnen in Tunnel und z.B. der Ausbau des ÖPNV.
  • Verletzlichkeit: 
    • Erdbeben, Erdrutsche, Waldbrände im Westen
    • Hurrikans an Ostküste und Golf von Mexiko
    • Tornados im Süden
    • Terrorismus, Schießereien
  • weiter wachsender Einfluss privater Investoren
    • Gründung von public private partnerships wurde angeregt, die den Abriss von Slums und problematischen Stadtteilen durchführen sollen
    • auf sanierten Flächen oft Bau von Sportstadien, multifunktionalen Gebäuden
    •  American Recovery and Reinvestment Act unter President Obama: unterstützt Ausbau des Bildungssystems, Steuererleichterungen für Geringverdiener, Ausbau der Infrastruktur, Revitalisierung der neighborhoods, Bau von Wohnungen für Sozialschwache → lässt die Kommunen Schwerpunkte setzen
  • Privatisierung: Städte werden zunehmend rund um die Uhr durch private Sicherheitsfirmen und Kameras überdacht (fing in Shopping-Malls an) → Sicherheit wird zu wichtigem Industriezweig
  • Gated Communities
  • Reurbanisierung: Aufschwung der Städte
    • Kernstädte wachsen teilweise nach Jahren der negativen Entwicklung wieder
    • Entstehung von Flagship-Stores, teuren Einkaufspassagen, Restaurants, luxuriösen Apartmentkomplexen in den Kernstädten
    • Gentrification
  • Smart Cities: noch wenig erforscht, aber es entstehen immer mehr Räume, in denen sich Arbeit und Konsum vereinbaren lassen (im WLAN bei Starbucks arbeiten)
  • Umweltschutz nimmt in der Stadtplanung größere Rolle ein
  • Aerotropolis (Kasarda): laut Kasarda werden in Zukunft Flughäfen die Zentren bilden, um welche sich alle Funktionen gruppieren werden → Autobahnen werden dann auch nicht mehr sternförmig zur Downtown führen, sondern zu den Terminals. Dadurch werden die Flughäfen selbst zu einer Stadt

Quellen

Hahn, B. (2014): Die US-Amerikanische Stadt im Wandel. Heidelberg.

Photo (Las Vegas) by Nicola Tolin on Unsplash